Training für das Immunsystem
Vitamine, Mineralien, sekundäre Pflanzenstoffe! Dieses Dreigespann sollten wir berücksichtigen, wenn wir uns gesund ernähren wollen. Was wir allerdings nur allzu leicht vergessen: Sie alle müssen in und durch den Darm. Und für diesen gilt, was auch auf die fleißigste Arbeitskraft zutrifft: Ist er krank, arbeitet er mit halber Kraft und ein Großteil der besten Lebensmittel, mit denen wir uns ernähren, landen nicht da, wo sie hin sollen: im Blut.
Den Darm müssen wir uns als eine hochkomplizierte, schlauchartige Chemiefabrik mit drei Hauptabteilungen vorstellen: Zwölffingerdarm (der meist zum Dünndarm gerechnet wird), Dünndarm und Dickdarm. Die in dieser Fabrik zu erledigenden Jobs sind viel komplexer als alles, was der Mensch bislang ersonnen hat. Biologen sind sich nicht genau einig, wie viele Arbeitsgruppen im Darm tätig sind, vermutlich zwischen 400 und 500, denn die Arbeiter — die Darmbakterien — sind so winzig, dass sie nur unter einem Mikroskop sichtbar werden.
Stress macht krank
Fest steht jedenfalls, dass wir über weit mehr Darmbakterien verfügen als über Körperzellen. Die Zahl der Arbeitskräfte wird auf 100 Billionen geschätzt. Schon durch ihre bloße Menge haben angreifende krankheitserregende Keime selten eine Chance, sich durchzusetzen. Außerdem müssen sie jeden Bissen, den wir zu uns nehmen, zusammen mit sogenannten Verdauungsenzymen analysieren und so lange zerlegen, bis nur noch winzige Stückchen übrig sind. Diese Moleküle kommen dann auf Minitransporter, werden durch kleine Türklappen in der Darmwand kutschiert und auf Lastkähne im Blut verladen. Ernähren wir uns gesund und haben wenig Stress, dann kommen die verschiedenen Arbeitstrupps miteinander klar. Es herrscht Harmonie im Darm und die Kooperation flutscht. Sobald wir aber Stress mit dem Partner oder mit Kollegen haben, spricht sich das auch im Darm herum und die eine oder andere Gruppe versucht sich aufzuspielen und das Kommando an sich zu reißen.
Gelingt es dem Friedenscorps, den Milchsäure- und Bifidobakterien, nicht, zwischen den Aufständischen zu vermitteln, gerät der Darm in Unordnung. Die Folgen spüren wir schnell: Anstatt fit zu sein, fühlen wir uns plötzlich schlapp, bekommen Kopfschmerzen, reagieren überempfindlich und unsere Stimmung geht in den Keller.
Jetzt ist die Zeit für Krankheitserreger gekommen. Nach dem Motto: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, nutzen sie die Gunst der Stunde. Sie schmuggeln sich als schwarze Passagiere ins Blut und vermehren sich so rasant, dass sie innerhalb von 24 Stunden zu einem Mikroben-Sturm anwachsen. Ein Luftzug, der uns sonst kalt gelassen hätte, genügt nun, um uns umzuwerfen.
Sauer macht gesund
Leider ist unser modernes Leben selten so stressfrei, dass unser Darm völlig in Ruhe seine anspruchsvolle Arbeit erledigen kann. Je nachdem, wie wir uns dann ernähren, reagiert der Darm. Am einfachsten hat er es mit Kohlenhydraten aus Gemüse und Getreide. Sie lassen sich verhältnismäßig schnell verarbeiten.
Noch mehr können wir den Jungs im Darm helfen, wenn wir angesäuerte Lebensmittel essen. Sie enthalten nämlich Milchsäurebakterien, die ihren Kollegen von Friedenscorps zur Hilfe eilen und Ruhe einkehren lassen in der Darmfabrik. Milchsäurebakterien besetzen auch vakante Stellen an der Darmwand, sodass Aufständler sich dort nicht mehr ansiedeln können.
Wie wohltuend solche Lebensmittel sind, wissen die Menschen seit Jahrtausenden. Sie haben Milch und Gemüse gesäuert, Joghurt hergestellt und Sauerteigbrot gebacken, das nicht umsonst am längsten frisch hält. Die Bulgaren, das Volk der Hundertjährigen, führen ihre lang anhaltende, gute Gesundheit auf den reichlichen Verzehr von Joghurt zurück, und die Russen schwören auf ihr Nationalgetränk Kwass, das ebenfalls milchsauer vergoren ist.
Bakteriencocktails härten ab
Sollen uns die Bakterien nutzen, müssen wir sie essen, beispielsweise als milchsauer vergorene Gemüsesalate oder Sauerkraut, beziehungsweise trinken als nicht wärmebehandelten Joghurt, Sauermilch, Kefir, Brottrunk oder andere, industriell hergestellte, probiotische Drinks.
Probiotische “Lebensmittel” leiten ihren Namen von “pro bios” ab, “für das Leben”. Definitionsgemäß handelt es sich dabei um Produkte, die lebende Mikroorganismen enthalten: die Probiotika. Sie zeichnen sich durch eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber Magen- und Gallensäure aus und lassen sich auch von Verdauungsenzymen wenig beeindrucken.
Brottrunk ist eine moderne Weiterentwicklung des russischen Nationalgetränks Kwass und wurde 1981 von dem Bäcker Wilhelm Kanne “erfunden”. Kwass wird aus Brot, Sauermilch, Wasser und Gewürzen hergestellt, Brottrunk aus einem speziellen, zerkleinerten Bio-Sauerteigbrot und Brunnenwasser. Er enthält große Mengen lebender Brotmilchsäurebakterien. Damit diese sich leichter im Darm ansiedeln, schwimmen in der Flüssigkeit wasserlösliche Nahrungsfasern als Futter für die hungrigen Baucharbeiter. Anders als Kwass ist Brottrunk alkoholfrei und infolgedessen mit sechs Kilokalorien auf 100 Milliliter äußerst kalorienarm.
Was Probiotika vermutlich können
Folgende Effekte gelten heute für Probiotika als gesichert:
- Das Immunsystem wird positiv beeinflusst.
- Kinder werden vor Durchfall, Fieber und Infektionen geschützt.
- Häufigkeit und Dauer verschiedener Durchfallerkrankungen nimmt ab. Insbesondere kann Lactobacillus casei den Krankheitsverlauf bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa hemmen.
- Die Konzentration gesundheitsschädlicher und krebsfördernder Stoffe im Dickdarm wird gesenkt.
- Personen mit Milchzuckerunverträglichkeit kommen besser mit Milchzucker zurecht.
- Probiotika aus Brottrunk wirken verdauungsfördernd.
- Eine gesunde Darmflora wird gefördert.
Folgende Effekte deuten sich an:
- Verstopfung bessert sich.
- Man leidet an weniger Infektionskrankheiten.
- Allergien und Autoimmunerkrankungen lassen nach.
- Der Cholesterinspiegel senkt sich, der Fettstoffwechsel wird positiv beeinflusst. Der Körper kann mehr Mineralstoffe aufnehmen.
- Osteoporose wird vorgebeugt
So gut milchsaure und probiotische Lebensmittel sein mögen – sie sind kein Ersatz für eine gesunde Ernährung, sondern lediglich eine Unterstützung. Hinzu kommt, dass sie ihre Wirkung offenbar nur dann entfalten, wenn sie regelmäßig eingenommen werden.
Probiotika werden gerne mit Präbiotika verwechselt. Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BGW) in Berlin beschreibt Probiotika folgendermaßen: “Probiotika sind definierte lebende Mikroorganismen, die in ausreichender Menge in aktiver Form in den Darm gelangen und dadurch positive gesundheitliche Wirkungen erzielen.”
Präbiotika – meist Inulin und Oligofruktose – hingegen sind Futter für diese Bakterien, die unverdaut in den Darm gelangen. Präbiotika und Probiotika ergänzen sich also hervorragend.